Freitag, 30. Oktober 2015

Mit den Augen eines Hundes

Draußen wird es langsam hell und ich lausche bereits einige Zeit Ihrer Atmung. Sie wird schneller und unregelmäßiger. Anders, als in der Nacht. Wenn Sie sich noch einmal bewegt, gehe ich nachsehen, ob Sie vielleicht schon wach ist. Da, Sie sieht mich an. Nun ist es eindeutig. Ich springe auf von meinem Nachtlager und eile an den Bettrand. Sie liegt gerade in der richtigen Höhe, sodass ich Ihr direkt in die noch müden Augen sehen kann. Endlich, der Tag kann beginnen.

Ich weiß, wenn Sie jetzt aufsteht, passiert noch nicht viel. Sie ist beschäftigt und hat ohnehin keine Hand frei für mich. Ich lege mich wieder hin und döse, bis ich eindeutige Geräusche oder gar keine Geräusche mehr vernehme. Ich weiß, dass Sie sich dann hingesetzt hat und aus ihrer Tasse trinkt. Aber die Mädels bekommen das auch mit und sind vor mir bei Ihr. Außerdem hat Sie ja nur eine Hand frei zum Streicheln. Also bleibe ich noch liegen, bis es los geht.

Und dann höre ich, wie Sie das große Licht einschaltet und weiß: nun kommt mein Part! Ich laufe zu Ihr, sehe Ihr tief in die Augen und warte auf die Worte: "Balu, hol dein Bandl!" Ich weiß genau, was zu tun ist und springe voller Eifer in die Ecke, wo sie alle liegen - unsere Halsbänder und Geschirre. Ich erkenne meines am Geruch, aber ich weiß auch, wie es aussieht. In Windeseile bringe ich es Ihr und schnappe nach dem Leckerchen, das es als Belohnung gibt. Manchmal in der Hektik bin ich zu grob, dann gibt Sie es nicht her. Aber ich weiß, dass ich es sofort bekomme, wenn ich meine Zunge und die Lippen über die Zähne schiebe und ganz langsam das Leckerchen in mein Maul gleiten lasse. Dann lächelt Sie mich an und ich weiß, ich habe es richtig gemacht.

Phoebe ist ein Streber - so sagt Sie zumindest zu ihr. Sie erledigt ihren Part ebenso rasch wie ich und oft rangeln wir darum, wer Mollys Geschirr holen darf. Molly kann das nicht. Sie muss auf der Decke warten, bis wir es für sie bringen.

Und dann, nach einer Ewigkeit, öffnet Sie endlich die Türe und wir laufen ins Freie. Ich erkenne sofort, wenn dieser verräterische Geruch in der Luft liegt, den fremde Katzen hinterlassen, wenn sie in unserem Garten zu Besuch waren. Dann laufe ich eilends eine Gartenrunde, um sie zu vertreiben. Ich weiß, Sie mag das gar nicht, aber Sie weiß gar nicht, wie wichtig das für uns ist.

Wenn wir ins Auto einsteigen, bin ich immer Erster. Dann kommen Phoebe und Molly und ganz zum Schluss Stella. Stella vergißt manchmal, was zu tun ist und muss geholt werden. Währenddessen warten wir ungeduldig im Auto, dass wir endlich los fahren.

Sind wir dann einmal im Wald, versuche ich, die Führung zu übernehmen - es gibt nichts Spannenderes, als den Wald, wenn es noch nicht ganz hell ist. Ich höre die Blätter rascheln und weiß, es sind noch viele Tiere unterwegs. Ich sauge deren Gerüche ganz tief ein und weiß genau, wo sie lang gelaufen sind. Oft hat gerade erst eines unseren Weg gekreuzt und ich kann nicht anders, als die Spur ein paar Meter zu verfolgen. Ich weiß, dass ich nicht weiter darf, aber die paar Meter sind sehr aufregend.

Wenn Sie Leckerchen ins Gras wirft, vergesse ich die Spuren meist sofort wieder und suche im Gras nach den kleinen Futterstückchen. Damit alle erkennen, dass ich meines gefunden habe, kaue ich laut und schmatze dabei, auch wenn ich es völlig geräuschlos verschlingen könnte. Das wirkt - keiner sucht mehr weiter nach meinen Leckerchen. Aber ich helfe gerne den anderen beim Suchen ihrer Leckerchen. Leider funktioniert das nicht immer - Sie passt auf und erlaubt es nicht, wenn Sie es sieht.

Sobald wir aus dem Wald zurück sind, gibt es Beute. Molly regt das sehr auf. Sie läuft unablässig im Kreis und stolpert dabei gegen unsere Beine und über alles, was ihr im Weg ist. Das hört erst auf, wenn Sie das Futter bringt und in unsere Schüsseln oder im Garten ins Gras verteilt.

Danach geht Sie meistens alleine jagen. Sie geht sehr lange jagen, aber wir warten geduldig auf Ihre Rückkehr, weil wir wissen, dass Sie uns dann mit nimmt auf die Jagd.

Während Sie jagen ist, bewachen wir den Garten und das Haus. Dazu gehört, dass wir den großen Garten außerhalb des Zaunes beobachten und jede Katze, die sich in die Nähe wagt, lauthals verbellen. Das machen wir meist alle zusammen. Stella und Molly machen nur mit, weil es alle tun. Phoebe mag Katzen ebenso wenig wie ich und sie ist voller Elan mit dabei. Sie legt sich so richtig ins Zeug. Leider stört das die Katzen nicht im Geringsten - sie sehen frech zu uns herüber und tun dann so, als wären wir nicht da. Das ist sehr ärgerlich. Wenn Sie zuhause ist, macht es noch viel mehr Spass, die Katzen zu verbellen. Sie ruft uns dann zu sich und es gibt ein Leckerchen. Wir bellen dann oft, auch wenn wir keine Katze sehen, damit wir ein Leckerchen bekommen.

Wir erkennen auch, wenn einer der Nachbarshunde vor einem fremden Eindringling warnt und bellen eifrig mit, um diesen zu vertreiben, selbst wenn wir nicht sehen, wer es ist. Das gehört sich so - in der Nachbarschaft halten alle Hunde zusammen. Selbst, wenn wir uns nicht mögen, wenn wir uns mal zufällig beim Spazieren treffen. Aber beim Verbellen sind wir eine große Einheit, die zusammen hält (und zusammen bellt).

Im Herbst vergehen die Tage rascher als sonst. Dann werfen die Bäume in unserem Garten nicht nur Blätter und kleine Äste ab, sondern auch leckere Zwetschken und etwas später zudem noch Nüsse. Wir alle lieben diese Sachen - sie sind wirklich gut und wir achten drauf, dass nichts liegen bleibt. Alles wird gefressen, kaum dass es den Boden berührt hat.

Ansonsten kann es ganz schön langweilig werden. Phoebe fordert mich dann mit wildem Herum Gehopse zum Spielen auf, aber ich habe wirklich keine Lust zu solchen Kindereien. Hin und Wieder kommt es jedoch vor, dass sie sich bewegt wie ein Hase. Und plötzlich denke ich, sie ist ein Hase und jage sie durch den Garten, dass ihr vor Schreck die Luft weg bleibt. Wenn sie sich dann entsetzt unter einen Busch flüchtet oder auf den Rücken wirft, gebe ich ihr einen Stupser und wende mich desinteressiert ab, damit sie weiß, dass ich nur Spass gemacht habe.

In der warmen Jahrszeit teilen wir den Garten nicht nur mit der meist übel gelaunten Katze Buffy, sondern auch mit fünf wandelnden Steinen. Sie bewegen sich nur sehr langsam und wenn wir sie berühren, verschwinden Beine und Kopf und sie liegen ganz still da. Im Grunde sind sie uns egal - wir bemühen uns aber, nicht auf sie drauf zu steigen.

Im Garten gibt es sehr viele Wasserquellen - das ist toll. Überall stehen flache Schüsseln mit Wasser, Kübel voller Wasser, aber am besten schmeckt das Wasser aus den Gießkannen. Man muss die Zunge ganz weit raus strecken, damit man dran kommt. Morgens geht es noch einfacher, aber am Nachmittag haben wir meist schon so viel getrunken, dass nur mehr wir Großen mit unseren langen Zungen an das köstliche Wasser kommen.

Wir wissen genau, wann Sie nach Hause kommt. Wenn wir Ihr Auto hören, laufen wir schon sehr aufgeregt zum Tor und warten dort, bis Sie endlich aufmacht und herein kommt. Es ist ein wunderbarer Moment und wir wollen sie alle als erster begrüßen. Ich spüre dann plötzlich so viel Energie und Bewegungsdrang, dass ich auf Stella springe, obwohl ich weiß, dass Sie das gar nicht mag und mich dann böse ansieht und sehr ernst anspricht. Aber ich kann einfach nicht anders in dem Moment - ES ist zu stark.

Dann müssen wir, obwohl uns nach Rennen und Springen ist, noch kurz auf unserer großen Decke liegen und warten, bis Sie uns die Halsbänder und Geschirre anlegt und wir ins Auto springen dürfen. Nun geht es auf zur zweiten gemeinsamen Jagd des Tages. Wir treffen dabei oft Hundefreunde oder lernen neue Hundefreunde (oder -feinde) kennen. Es ist nicht so interessant wie morgens, weil es wenig frische Gerüche von den Wald- und Feldtieren gibt.

Aber dann suche ich eben nach Leckereien im Gebüsch, die andere Menschen oder Tiere hinterlassen haben. An manchen Tagen findet sich so einiges Schmackhaftes. Sie mag das überhaupt nicht und spricht und sieht mich dann böse an. Sie spielt aber auch meist mit uns und macht Spass, sodass die Jagd viel zu schnell vergeht und keine Zeit bleibt, nach köstlichem Unrat Ausschau zu halten. Wieder zurück im eigenen Revier wird Beute verteilt (wieder in Schüsseln oder im Garten). Egal wo, jeder versucht seinen Anteil so rasch als möglich zu verschlingen. Fast immer bin ich erster und "helfe" dann den anderen beim Suchen.

An manchen Tagen geht Sie mit uns in den Garten und wir machen Tricks oder jagen Bällen hinterher. Oder wir laufen zwischen Stangen im Slalom durch und springen über andere drüber. Das können alle und wir wollen auch alle gleichzeitig dran kommen. Genau das mag Sie aber gar nicht, und so spannt Sie uns auf die Folter und nimmt immer nur einen von uns dran. Es ist sehr schwierig auf einem Platz zu warten, während Sie mit nur einem von uns Tricks übt und Leckerchen gibt. Wenn ich dann endlich dran bin, kann ich gar nicht genug davon bekommen und hoffe, dass es nie aufhört.

Aber leider vergeht auch das meist viel zu schnell. Trotzdem folgt dann noch eine großartige Sache. Manchmal sind wir jedoch besorgt, dass Sie drauf vergessen könnte und starren Sie daher so lange an, bis Sie sich erinnert und sich auf macht zur großen Tonne im Stiegenaufgang vom Keller. Wir bekommen dann alle noch ein getrocknetes Ohr zum Kauen. Und weil ich der Größte und Stärkste von uns allen bin, bekomme ich das größte und beste Ohr. Dennoch bin ich immer als erster fertig und setze mich im Garten an den Zaun, um die Umgebung zu beobachten, bis es dunkel wird.

Wenn es dann so finster ist, dass ich nichts mehr sehen kann und rundherum alle schlafen gehen, ziehe ich mich zurück ins Haus zu den anderen. Ich suche mir einen gemütlichen Platz für die Nachtruhe in Ihrer Nähe in der Hoffnung, dass Sie Ihre Hand ausstreckt und mich an der Stelle hinterm Ohr krault, wo es so wahnsinnig gut tut, dass ich nicht anders kann, als genüsslich zu brummen. Draussen höre ich vereinzelt noch die Nachbarshunde bellen, welche die Nacht einsam im Garten verbringen müssen. Dann drehe ich noch einmal meinen Kopf, lecke dankbar die Hand, die mich streichelt, grunze mich seelig in einen Tiefschlaf in absoluter Sicherheit und Geborgenheit.

 

Sonntag, 4. Januar 2015

Große Persönlichkeiten

Aus rund 20 Jahren Zusammenleben mit verschiedensten Typen von Hunden ist die herausragende Erkenntnis: es ist völlig egal wie groß oder wie alt sie sind, unerheblich welches Geschlecht oder welche Veranlagung, nicht wichtig, welche Vorgeschichte - es gibt immer einen gemeinsamen Nenner und der bin ICH! Nicht dass ich mich grundsätzlich so unheimlich wichtig nehme, aber für mein Rudel bin ich nun mal das Wichtigste. Und mit meinem Verhalten präge ich meine Bande, ob es nun ein, zwei, drei oder vier sind.

Alle passen sich an und es ist faszinierend, wie viele Gemeinsamkeiten sie auf diese Weise entwickeln. Jedes neue Mitglied lernt, der eine rascher, der andere wieder langsamer, wie bei uns der Hase läuft.

Aber neben dieser wundervollen Eigenschaft, die uns zusammenhält und ein für uns alle angenehmes Zusammenleben überhaupt erst möglich macht, gibt es dennoch viele individuelle Eigenschaften und Persönlichkeitsmerkmale, die jedes einzelne dieser Wesen zu etwas Einzigartigem und Besonderen machen.



Zum Beispiel Phoebe mit der coolen Rasta-Frisur: sie verbellt böse Geister im Garten; bei jedem neuen Betreten ist dieses Ritual erforderlich: die ersten Runden im Garten werden begleitet von ununterbrochenem Bellen gedreht, bis sicher gestellt ist, dass alles, was nicht in den Garten gehört, weggelaufen oder geflogen ist beziehungsweise sich verkrochen hat. Phoebe kann auch singen - ihre unvergleichliche Sopran Stimme würde sogar Anna Netrebko vor Neid erblassen lassen.

Und Schlafen gelegt wird aus Prinzip erst dann, wenn ein ordentliches Nestchen gebaut ist. Dem voran geht ein Scharren, ein Schieben, ein Wuzeln und ein Drücken. Da werden Polster zerknautscht, Teppiche in Ziehharmonikaform gelegt oder Stofftiere zur Unkenntlichkeit zusammengedrückt. Dann wird begutachtet und Probe gelegen, aber erst wenn als gemütlich und liegenswert befunden, wird auch wirklich geruht.


Molly ist die Dame mit den Ritualen - allen voran das Putz- und das Drehritual. Schmutzige Futterschüsseln gibt es bei uns nicht mehr, seit Molly die Zuständigkeit dafür übernommen hat. Ergänzt wird dies durch ein vorangehendes Futterritual. Sobald der Napf leer ist und die paar Stückchen, die Frauchen "irrtümlich" immer daneben verstreut, auch eingesammelt sind, muss Madame mal - und wenn's nur ein paar Tröpfchen sind.
Und Niederlegen geht frühestens nach der 5. vor der gewählten Schlafstatt gedrehten Runde. Es mutet beinahe autistisch an, dieses zwanghafte im Kreis rennen bevor sie endlich zur Ruhe kommt. Noch seltsamer: je weiter oben die Schlafstatt, desto länger wird gedreht. Als müsste sie sich erst Mut und Kraft für den Sprung andrehen.



Balu ist der Traum aller Mädels im Haus. Nur ganz selten sieht man ihn alleine liegen. Immer kuschelt sich grade eine an ihn. Kein Wunder - er ist ein richtiger Schmusetiger. Balu sucht die Nähe wie die Motte das Licht. Um dieses Ziel zu erreichen, ist ihm jedes Mittel recht. 


 
Kommt Freundin E. zu Besuch, nimmt Balu wie selbstverständlich auf Ihrem Schoß Platz. Ebenso erfinderisch ist der Bub bei seinen Kuschelversuchen. Eine zum Trocknen ins Handtuch gewickelte Stella wird hier kurzerhand zur Couch umfunktioniert.




Ich denke, mein Kampfschmuser ist im falschen Körper geboren worden. 20kg weniger wären für einen derart liebes- und nähebedürftigen 4-Beiner das zweck-dienlichere Gewicht gewesen.

Stella ist die ungekrönte Königin unseres Rudels. Sie kam als erste und geht dennoch immer als letzte (beim Spazieren). Stella löst bei völlig Fremden einen spontanen Kuschelzwang aus. Nicht erst einmal wurde sie von fremden Frauen beim Spazieren nach ausgiebigem Durchwalken einfach umarmt, geherzt und gedrückt. Und was macht Stella in solchen Fällen? Sie hält still, läßt gewähren, alles gutmütig über sich ergehen und mir scheint, sie genießt es in vollen Zügen. Die gute Stella, die alle Leute verbellt und verknurrt hat, die niemanden in ihrer Nähe haben wollte und die sich vor lauter Angst nur im Rückwärtsgang wegschob von anderen Menschen und die im Leben nicht auf den Gedanken gekommen wäre, sich an ein fremdes Knie zu schmiegen, sich von fremden Händen das Fell durchkämmen zu lassen und fremde Arme um ihren Hals zu dulden.
Stella hat gelernt zu genießen und nun lehrt Stella uns Ruhe und Langsamkeit in einer Zeit der Eile, des unausweichlichen Speed, mit dem unser Leben dahin rast. Stella ist unsere Mitte, unser "Om". Selbst wenn ich manchmal wünschte, sie hätte einen eingebauten Düsenantrieb, den ich nach Bedarf auch mal einschalten kann, wenn sie wieder mal Raum und Zeit vergißt im seeligen Zeitunglesen an einem Grashalm - selbst dann bin ich froh, dass Stella mich gefunden hat und ich durch sie und an ihr die Freude entdecken durfte, die es tagtäglich bereitet, wenn man einem bereits abgeschriebenen Tier eine zweite, dritte oder x-te Chance auf ein schönes Leben geben kann.